Mikhail Stishov arbeitet für die Arktis, und er liebt sie. Das wird deutlich, wenn man dem engagierten Wissenschaftler zuhört. Seit acht Jahren koordiniert er Projekte und Aktivitäten, die mit dem Schutz arktischer Arten in Russland zu tun haben. Kaum jemand weiß also besser als er, wie es den Eisbären, Walrossen und wilden Rentieren in der russischen Arktis geht. In seiner täglichen Arbeit erlebt er die Schönheit der arktischen Artenvielfalt hautnah - und auch ihre Bedrohung.

Herr Stishov, woran sehen Sie bei ihrer Arbeit, dass sich das Klima in der Arktis verändert?

Mikhail Stishov: Selbst hier in Moskau werden Neujahrsferien ohne Schnee, dafür mit Regen sowie regelmäßige starke Stürme und Eisregen immer normaler. Das Wetter unterscheidet sich stark vom früheren Moskauer Winter, als die Temperaturen bei -15 bis -25 Grad Celsius lagen und niemand davon ausging, dass es im Januar regnen würde.

Noch eindrucksvoller ist es aber, das Polarmeer im Spätsommer ohne eine einzige Spur von Eis zu sehen. Und vor einigen Jahren wurde in der Tundra der Taymir-Halbinsel das Trinkwasser knapp, weil Bäche und Flüsse ausgetrocknet waren. Mein Kollege aus Sibirien, Sergey Verhovets, musste feststellen, dass es in Sibirien immer öfter warme Winter gibt und der Frühling in manchen Jahren sehr früh kommt.

Mikhail Stishov von WWF Russland © Andy Isaacson / WWF-US
Mikhail Stishov von WWF Russland © Andy Isaacson / WWF-US

Darüber hinaus erhöht das Auftauen des Permafrostes die Anzahl und das Ausmaß destruktiver Phänomene wie der sogenannten Solifluktion. Bei diesem - auch Bodenfließen genannten - geologischen Prozess werden große Flächen lockeren Gesteinsmaterials aus den oberen Schichten des Permafrostbodens abgetragen, der Boden "fließt" praktisch weg. Auf diesem Boden finden Gebäude, Anlagen, Straßen und auch Pipelines keinen Halt mehr. Neben wirtschaftlichen Problemen kann es dadurch auch leicht auch zu Ölkatastrophen kommen.

Wir haben auch viel längere Perioden mit offenem Wasser sowohl am Jenissej-Fluss als auch im arktischen Meer. Ein offener Fluss im Winter kann nicht mehr so einfach als Straße benutzt werden und führt zu Versorgungsproblemen für Menschen, die in abgelegenen Dörfern leben. Und das offene Meer schafft Probleme für die Eisbären, die sich nun länger an Land aufhalten und immer öfter den Küstensiedlungen annähern.

Welcher Moment in ihrer Arbeit ist Ihnen besonders im Gedächtnis geblieben?

Ich erinnere mich ganz besonders an einen Tag vor vielen Jahren, als ich gerade anfing, als Forscher im staatlichen Naturschutzgebiet auf der Wrangelinsel zu arbeiten. Es war Mitte September und sehr sonnig und warm, ungefähr drei bis fünf Grad. Es war kaum windig und so schön draußen, dass mein Kollege und ich den Tisch aus unserer Hütte schoben und an den Strand stellten. Dort saßen wir dann, tranken Kaffee und beobachteten die Natur.

Im Meer schwammen viele Eisschollen, auf denen grunzende Walrosse lagen und nicht weit von uns lief eine Eisbärmutter mit ihren beiden Jungen über ein Schneefeld. Den ganzen Tag über flogen große Schwärme rosafarbener Rosenmöwen über uns hinweg. Wir waren so glücklich, das alles zu erleben! Und wir dachten, dass all dies unbedingt bewahrt werden muss, damit alle Menschen so etwas Schönes erleben könnten. Und dass es unheimlich sinnvoll ist, sein Leben der Naturschutzarbeit zu widmen.

Welches sind aus Ihrer Sicht die dringendsten Schritte, um die Artenvielfalt der Arktis zu erhalten?

Ein Eisbär auf einer Eisscholle © Richard Barrett / WWF-UK
Ein Eisbär auf einer Eisscholle © Richard Barrett / WWF-UK

Das ist nicht so einfach zu beantworten, da die aktuellen Bedrohungen globalen Charakter haben, so dass jeder mögliche Schritt dagegen wenig bedeutsam erscheinen kann. Die arktische Umwelt hat schon mehrere Perioden großer Klimaerwärmung erlebt, und viele Ökosysteme und Arten konnten sich anpassen, um zu überleben. Aber noch nie gab es einen solchen menschlichen Einfluss wie jetzt! Es sind schwere Zeiten für die arktische Artenvielfalt. Durch den menschengemachten Klimawandel könnten viele Tier- und Pflanzenarten sehr stark geschädigt und einige auch ganz ausgerottet werden.

Wir können den Klimawandel zwar nicht mehr verhindern, aber wir können zumindest versuchen, den menschlichen Einfluss auf das arktische Ökosystem zu verringern. Das könnte vielen Arten helfen zu überleben. Deshalb müssen wir unsere Präsenz und unsere wirtschaftlichen Aktivitäten in der Arktis so weit wie möglich einschränken und alle unsere Projekte, von der Tourismusindustrie bis zur Öl- und Gasförderung, umweltfreundlich für die arktische Umwelt und ihre Bewohner gestalten.

Auch ganz grundsätzlich müssen wir alle unseren Konsum reduzieren, wenn wir den Klimawandel noch bremsen wollen. Die Menschheit wächst, der individuelle Konsum wächst, aber der Planet und seine Ressourcen nicht.

Tragen Sie zum Schutz der Arktis bei

  • Eisbärin mit zwei Jungtieren © Richard Barrett / WWF-UK Arktis

    Die russische Arktis gehört zu den am wenigsten vom Menschen erschlossenen Gebieten auf der Erde - geprägt von einem hochempfindlichen Ökosystem. Weiterlesen ...

  • Rotfüchse dringen nach Norden vor und konkurrieren dort mit Polarfüchsen um Nahrung und Lebensraum. © Dmitry Deshevykh / WWF Russland Folgen des Klimawandels in der russischen Arktis

    Nirgendwo sonst auf der Welt ist der Klimawandel so stark spürbar und messbar wie in der Arktis und nirgendwo sonst vollzieht er sich schneller. Weiterlesen ...

  • Ein Walross liegt auf dem Eis © Wild Wonders of Europe / Ole Joergen Liodden / WWF Walross, Rentier und Eisbär unter dem Einfluss des Klimawandels

    Es ist schwer vorherzusagen, wie der Klimawandel die Arktis beeinflussen wird. Die Prognosen sind besorgniserregend. Weiterlesen ...