„Natürlich vermisse ich meine Familie ungemein – jedes Mal, wenn ich in den Wald gehe.“ Marlyse Bebeguewa Azombo ist 38 Jahre alt, verheiratet und hat zwei Kinder. Regelmäßig begibt sie sich auf die Spuren von Elefanten, Büffeln, Gorillas und anderen Wildtieren im Lobéké-Nationalpark im Südosten Kameruns. Etwa zehn Tage campt sie dann mit ihrem Team im Wald. „Ausreichend Essensrationen und das richtige Equipment sind entscheidend“, erklärt Bebeguewa. Im Basislager in Marlyses Heimatdorf Mambélé nahe des Schutzgebietes packen sie und ihr Team das Feldmaterial: Kamerafallen, GPS-Geräte, Zelte und Verpflegung.
Marlyse Bebeguewas Leben ist außergewöhnlich. Nicht viele Frauen widmen sich so intensiv der Erforschung und dem Erhalt des Regenwaldes wie die zweifache Mutter aus Kamerun. Nur selten leiten Frauen Erkundungsmissionen durch die Tiefen des Kongobeckens. Sie müsse sich durchsetzen wie ein Mann, sagt Marlyse, wenn sie von ihren tagelangen Expeditionen in die Wälder des Nationalparks Lobéké spricht.
Tagelang im Wald
Früchte der Arbeit
Schlimmer Moment
Als eine ihrer schlimmsten Erfahrungen im Wald beschreibt Bebeguewa eine Expedition, bei der das Essen gestohlen wurde. Fremde hatten die Tagesrationen geplündert, während sie vom Hochsitz aus Tiere beobachtete. Sie war gezwungen, umzukehren und brauchte die ganze Nacht, um durch die dichten Wälder in ihr Dorf zurück zu laufen.
„Aber ich habe mir diese Arbeit ausgesucht und liebe sie!“ Bebeguewa gehört zum Biomonitoring-Team des Nationalparks, das Zustand und Veränderungen von Arten und Beständen im Schutzgebiet erfasst.
Chefin eines Männer-Teams

Die 38-Jährige stellt Kamerafallen auf und sichert laufend wichtige Daten über die Wildtierbestände. In ihrem Rücken ein Team aus Männern, die sie unterstützen und von ihr angeleitet werden. Das ist nicht selbstverständlich hier und auch nicht immer leicht. „Um Konflikte im Feld zu lösen, muss ich wie ein Mann denken und handeln“, sagt Bebeguewa. Seit 2007 arbeitet sie nun schon im Lobéké-Nationalpark und wurde in dieser Zeit umfassend ausgebildet.
Grünes Erbe
„Ich wurde nahe dieses riesigen Waldes geboren, der für mich ein Erbe meiner Eltern ist. Heute arbeite ich daran, ihn zu schützen, damit er meinen Kindern als Erbe erhalten bleibt.“ Marlyse Bebeguewa Azombos Vater gehörte zu den ersten Naturschützern in Lobéké, starb aber bereits in jungen Jahren. Seine Frau und acht Kinder stürzten durch seinen frühen Tod in finanzielle Not. „Es war kein Geld da, um weiter zur Schule zu gehen“, erinnert sich Bebeguewa Azombo. „Ohne Schule hatte ich nichts zu tun, also habe ich mir überlegt, ich könnte versuchen, in die Fußstapfen meines Vaters zu treten.“
Mit dieser Entscheidung beginnt die beeindruckende berufliche Laufbahn einer jungen Schulabbrecherin: Bebeguewa arbeitete zunächst als Gepäckträgerin, die Vorräte in den Regenwald schafft. 2009 bewirbt sie sich für eine Ausbildung als Touristenführerin in Bayanga in der benachbarten Zentralafrikanischen Republik und wird angenommen. „Die Ausbildung hat für mich die Weichen gestellt“, sagt Marlyse Bebeguewa Azombo. Fünf Jahre lang sammelt sie Erfahrungen als touristischer Guide, dann ergreift sie eine weitere Chance, als der Lobéké Nationalpark ökologische Überwachungsassistenten rekrutiert. Mittlerweile 27 Jahre alt, wird Bebeguewa aus dutzenden Bewerbern ausgewählt – als einzige Frau – und direkt für die Position als Teamleitung eingestellt. Weitere sechs Jahre und ein Praktikum als Biologin später, beginnt sie als Beraterin für den WWF zu arbeiten.
„Es ist mein Wald und der Wald meiner Vorfahren“, sagt Marlyse Bebeguewa Azombo. „Hier fühle ich mich zu Hause und sehr, sehr wohl.“ Als eine der wenigen internationalen Organisationen ist der WWF in der Region durchgängig vor Ort, unterstützt die lokale Bevölkerung und finanziert zusammen mit Partnern wie der Sangha Trinational-Stiftung den Schutz des Nationalparks, so auch die Maßnahmen von Bebeguewas Team.
Zu ihren Aufgaben gehört es auch, die Koexistenz und Zusammenarbeit von Bantu und Baka zu stärken – diplomatisch und durch fortwährenden Dialog. Spannungen zwischen den beiden Bevölkerungsgruppen sind ein signifikantes Hindernis für die Gemeindeentwicklung, ergab eine Studie des Centre for Rural Development Berlin im Jahr 2016. Der Erfolg des Nationalparks ruht auf den Schultern beider Gemeinschaften, Baka und Bantu, ist Bebeguewa überzeugt. Sie beobachtet, dass trotz andauernder Spannungen Teams inzwischen meist aus Mitgliedern beider ethnischer Gruppen bestehen. Sogar dann, wenn diese keinen offiziellen Bewerbungsprozess durchlaufen haben, sondern sich informell zusammentun.
Im Wald zu Hause

Mit dem Geld, das die 38-Jährige verdient, kann sie die Ausbildung ihrer beiden Kinder und ihres jüngeren Bruders bezahlen und ihnen so ermöglichen, was ihr in ihrer eigenen Vergangenheit verwehrt blieb. Mit ihrem Einkommen unterstützt sie außerdem verschiedene Frauenorganisationen in ihrem Dorf, baut sich einen kleinen Landwirtschaftsbetrieb als zweites Standbein auf und konnte mit ihrem Mann das eigene Haus fertigstellen. Trotzdem ist Geld nicht der Hauptgrund für ihren Einsatz für die Natur: „Für mich ist der Wald ein Schatz, den es zu beschützen gilt.“
International organisierte Wilderei in Lobéké
Von Beginn an war Marlyse Bebeguewa Azombo fasziniert von den großen Ansammlungen von Wildtieren in den sogenannten Bais, den sonnendurchfluteten Lichtungen inmitten der Wälder. Sehr viele Waldelefanten und Menschenaffen auf einem Fleck, so kann man Lobéké beschreiben. Der Nationalpark ist Teil des länderübergreifenden Weltnaturerbes Sangha Trinational. Hier leben geschützte Arten wie Schimpansen und die bedrohten Flachlandgorillas. Trotzdem grassiert die Wilderei: Illegal, grausam und professionell organisiert. Außerdem schaden Holzeinschlag und die illegale Förderung von Bodenschätzen den Wäldern, Wildtieren und nicht zuletzt den Menschen, die in und vom Wald leben.
Großes Potenzial als Ökotourismusziel
Der Lobéké Nationalpark ist eine Schatzkammer der Biodiversität und könnte ein Paradies für den Ökotourismus sein – doch aktuell besuchen ihn nur rund 100 Touristen pro Jahr. Die Ursache liegt vor allem in fehlenden Mitteln, die für die Entwicklung als ökotouristisches Ziel benötigt würden. „Das größte Hindernis sind die schlechten Straßen“, erklärt der Leiter des Lobéké Nationalparks, Donatien Joseph Guy Biloa. „Nur fest entschlossene Touristen nehmen die Anreise auf sich.“ 750 Kilometer liegt der Nationalpark von der Hauptstadt Kameruns, Yaoundé, entfernt – aktuell sind das zwei Tagesreisen, jedoch werden die Straßen während der Regenzeit oft unpassierbar.
„Es ist ein herausforderndes Arbeitsumfeld“, fasst Bebeguewa zusammen. “Es gibt hier viele Gefahren – nicht zuletzt durch die Abgeschiedenheit des Geländes.“ Dennoch ist die Hoffnung groß. Denn da ist zum einen das Potenzial des Nationalparks für einen sanften, ökologischen Tourismus. Und da ist die zunehmende Anerkennung indigener Gemeinschaften, ihrer Rechte und ihrer Rolle als Hüter der natürlichen Ressourcen. „Lobéké ist unser Erbe, es ist reich an Biodiversität und Arten, die es sonst nirgends gibt“, betont Bebeguewa. Sie wünscht sich, dass noch mehr internationale Touristen diese Schätze kennenlernen können. Und dass auch ihre Kinder und Enkelkinder sich für den Schutz das Waldes einsetzen werden.
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