Dass heute im Shahdag-Nationalpark in Aserbaidschan wieder Wisente die Gegend durchstreifen, ist eine Sensation. Vor fast 100 Jahre wurde der letzte Berg-Wisent im Kaukasus geschossen. Lange Zeit galten freilebende Wisente als ausgestorben. Dank internationaler Zucht- und Wiederansiedlungsprojekten sowie dem strengen Schutzstatus in vielen Ländern Europas konnten die Wildrinder jedoch wieder in Gebieten Europas und Asiens in ihren natürlichen Lebensraum überführt werden. Mittlerweile umfasst der globale Wisentbestand mehr als 8.200 Tiere.
Zeynab Khalilova leitet das Wisent-Wiederansiedlungsprojekt im Shahdag-Nationalpark. Sie möchte junge Frauen ermutigen, ihrem Beispiel zu folgen und eine Karriere im Naturschutz zu starten.
Zurück im natürlichen Lebensraum

Das Wisent-Wiederansiedlungsprojekt im Shahdag-Nationalpark gibt es seit dem Jahr 2019. Seitdem konnten 46 Wisente aus verschiedenen Zoos in den Nationalpark gebracht werden, 27 Kälber wurden vor Ort geboren. Langfristiges Ziel des Projekts ist es, auf der Grundlage einer Vereinbarung zwischen dem WWF und dem Tierpark Berlin bis zum Jahr 2028 jährlich bis zu 10 Tiere auszuwildern, um eine nachhaltige Population zu erreichen.
Projektleiterin Zeynab Khalilova ist von Beginn an mit dabei. Die Arbeit mit dem europäischen Wisent ist für sie etwas ganz Besonderes: „Zu sehen, wie gut sich die Tiere in ihrem natürlichen Lebensraum entwickeln, ist eine zutiefst bereichernde Erfahrung“, sagt sie. Ebenso spannend sei es für sie als Wildtierbiologin aber auch, zu sehen, wie die Anwesenheit der Wildrinder im Nationalpark zur Wiederherstellung natürlicher Prozesse beitrage. Wisente spielen als große Pflanzenfresser eine entscheidende Rolle für die Gesundheit des Ökosystems und tragen dazu bei, das Gleichgewicht der Pflanzenarten, insbesondere in Waldökosystemen, aufrechtzuerhalten.
Zeynab Khalilova hat ihren Bachelor in Biologie an der Staatlichen Universität Baku in Aserbaidschan absolviert. Für ihren Master in angewandter Ökologie ging sie im Anschluss an die Eötvös Loránd Universität in Budapest, wo sie sich auf ökologische Forschung und Naturschutzpraktiken spezialisieren konnte.
„Jeder Tag ist anders, und meine Rolle als Koordinatorin im Wisent-Wiederansiedlungsprojekt erfordert immens viel Flexibilität.“
Zeynab Khalilova, Leiterin des Wisent-Wiederansiedlungsprojekts im Shahdag-Nationalpark
Anspruchsvolle Feldarbeit

Zeynab Khalilovas Beruf ist anspruchsvoll und abwechslungsreich. „Jeder Tag ist anders, und meine Rolle als Koordinatorin im Wisent-Wiederansiedlungsprojekt erfordert immens viel Flexibilität“, erzählt sie. Die Arbeit im Feld nimmt viel Zeit in Anspruch.
Zeynab überwacht die Tiere und bewertet, wie gut sie sich an die neue Umgebung anpassen. Eine kontinuierliche Kontrolle von Gesundheit, Verhalten und Bewegungen der Wisentpopulation ist für die Wiederansiedlung zentral.
Der WWF verwendet neueste Technologien wie GPS-Halsbänder und Kamerafallen, um die Bewegungen der Wisente zu verfolgen, ihr Verhalten genau zu beobachten und sicherzustellen, dass sie sich in ihrem natürlichen Lebensraum wohlfühlen. Die Auswertung der gesammelten Daten ist aufwändig und zeitintensiv, für den langfristigen Erfolg des Projekts aber unerlässlich.
Zusammenarbeit mit den Menschen vor Ort

Auch die Kontaktpflege mit den Gemeinschaften in der Region gehört zu Zeynab Khalilovas Aufgaben. „Ich verbringe viel Zeit damit, mit den Menschen über die Bedeutung der Wisente bei der Wiederherstellung des ökologischen Gleichgewichts zu sprechen und auf ihre Bedenken und Fragen einzugehen“, erzählt sie.
Khalilova versucht, auf diese Weise das Vertrauen der lokalen Bevölkerung zu gewinnen, denn sie weiß, dass die Wiederansiedlung nur gemeinsam gelingen kann.
Für die Dorfbewohner:innen hat die Rückkehr der Wildrinder noch weitere Vorteile. Sie kann helfen, den Tourismus vor Ort anzukurbeln. Ökotourismus ist für die Region eine Chance auf neue Einkommensmöglichkeiten und nachhaltige Entwicklung.
Schutz vor Infektionen
Immer wieder kann im Projekt Unvorhergesehenes geschehen, auf das die Biolog:innen reagieren müssen. Zeynab Khalilova berichtet von einer Augeninfektion verursacht durch eine Kombination aus Fadenwürmern und Bakterien, die durch Fliegen von Nutztieren auf die Wisente übertragen wurde. Um die Tiere zu schützen, musste die Managementstrategie angepasst werden.
Nun werden die Wisente bereits im Herbst zum Auswilderungsgebiet transportiert und die kalte Jahreszeit über im Auswilderungsgehege gehalten, um sie auf ihr neues Leben in Freiheit vorzubereiten. Die Wintermonate seien besonders wichtig, weil das kalte Wetter die Übertragung von Nematoden und Bakterien verhindere, erklärt Khalilova.
Bei Anbruch des Frühlings werden die Bisons dann in höheren Lagen frei gelassen – weit entfernt von den Hausrindern. Die neue Strategie ging bislang gut auf: Der Übertragungszyklus konnte unterbrochen werden, zu nennenswerten gesundheitlichen Problemen bei den Wisenten kam es seitdem nicht mehr.
Physische Herausforderungen

Der Shahdag-Nationalpark beherbergt eines der vielfältigsten Ökosysteme Aserbaidschans mit einer überaus reichen Vielfalt an Flora und Fauna. Gleichzeitig ist der Park für sein zerklüftetes Terrain und seine abgelegene Lage bekannt, was die Feldarbeit vor physische Herausforderungen stellt. Von solchen Hürden lässt sich Zeynab Khalilova jedoch nicht abhalten.
„Das Klima ist sehr rau, die Beobachtung der Bisons in einer solchen Umgebung erfordert eine besondere Vorbereitung, aber wenn man sieht, wie sich die Tiere an diesen neuen Lebensraum anpassen, lohnt sich die Mühe“, sagt sie.
Zu 100 Prozent verlassen kann sie sich dabei auf ihr Team, auf die Mitarbeiter:innen vor Ort, die lokalen und internationalen Expert:innen. Gemeinsam lösen sie die komplexen Aufgaben des Projekts, tauschen Wissen aus und unterstützen sich gegenseitig bei den schwierigen Bedingungen vor Ort.
„Ich möchte darauf aufmerksam machen, dass es in diesem Bereich Platz für Frauen gibt. Die Arbeit, die wir heute leisten, legt den Grundstein dafür, dass morgen mehr Frauen in diesem Bereich arbeiten können.“
Zeynab Khalilova, Leiterin des Wisent-Wiederansiedlungsprojekts im Shahdag-Nationalpark
Kulturelle Bedeutung der Wiederansiedlung

Der Erfolg des Projekts macht Khalilova stolz. „Das Wisent ist eine ikonische Tierart mit großer kultureller Bedeutung in der Welt, und die Beteiligung an seiner Wiederansiedlung bindet uns an diese lange Geschichte“, sagt sie. „Jedes Mal, wenn eine neue Generation von Wisenten geboren wird und in freier Wildbahn überlebt, ist das ein Schritt nach vorn, um ihr langfristiges Überleben zu sichern, und das gibt uns ein Gefühl der Erfüllung.“
Zeynab Khalilova selbst hat sich ihre Position im Wisent-Wiederansiedlungsprojekt mit viel Leidenschaft und Engagement erarbeitet. Gerne möchte sie damit ein Vorbild sein. „Als Frau in der Wildtierbiologie macht es mir viel Freude, junge Mädchen und Frauen für eine Karriere im Naturschutz zu begeistern, insbesondere in einem traditionell von Männern dominierten Umfeld“, sagt sie.
„Ich möchte darauf aufmerksam machen, dass es in diesem Bereich Platz für Frauen gibt. Die Arbeit, die wir heute leisten, legt den Grundstein dafür, dass morgen mehr Frauen in diesem Bereich arbeiten können.“
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Wisente: Rückkehr der bedrohten Riesen
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Kaukasus