Nur fünf Monate im Jahr ist die abgelegene Bergwelt Nagaland im Nordwesten Myanmars zugänglich. Die verbleibende Zeit wird Nagaland vom Monsunregen überschwemmt oder leidet an den Folgen. Erdrutsche führen zu unpassierbaren Straßen. Diese fast unberührte Natur ist Lebensraum für die letzten Tiger Myanmars. Der WWF unterstützt die indigenen Naga-Gemeinden beim Schutz ihrer Heimat.
Nagaland wurde während der Kolonialzeit auf zwei Länder aufgeteilt: Indien und Myanmar. Die Bevölkerung im burmesischen Teil lebt heute weitgehend isoliert.
Internet gibt es nicht, Mobilfunksignale sind rar und die Stromversorgung ist unzuverlässig. Der Zugang zu Basisdienstleistungen wie der Gesundheitsversorgung erfordert oft eine mehrtägige Reise.
Aufgrund dieser Abgeschiedenheit und einer eigenen Naga-Verwaltung sind traditionelle Bräuche und zahlreiche lokale Sprachen weitgehend erhalten, genau wie eine beeindruckende Fülle biologischer Vielfalt.
Tief verwurzelt mit dem Tiger
„Tiger gelten unserem Volk seit Urzeiten als Beschützer. Wir Einheimischen respektieren ihre spirituelle Rolle und es ist verboten, ihnen etwas anzutun“, erzählt eine Tangshang-Naga-Frau aus einem der abgelegenen Bergdörfer.
Die Tangshang, eine tibeto-burmesische Volksgruppe, leben seit Jahrtausenden in Nagaland im Einklang mit der Natur. Für sie und andere indigene Gemeinden im nördlichen Grenzgebiet Myanmars ist der Schutz der Wälder eng mit der Bewahrung ihres kulturellen Erbes und der Ehrung ihrer Vorfahren verbunden. Vor allem Tiger spielen eine zentrale Rolle in Mythen und Legenden.
Artenschutz in Zeiten politischer Krise
Charakteristisch für Nagaland sind steile Berge, dichte Wälder und reißende Flüsse. Hier stehen die größten noch verbliebenen Primärwaldgebiete des südostasiatischen Festlandes und hier leben neben Tigern auch weitere bedrohte Arten wie Asiatische Elefanten und Leoparden.
Doch Myanmar ist seit Jahrzehnten geprägt von politischer Instabilität. Seit einem Militärputsch 2021 herrscht Bürgerkrieg.
Zunehmende Angriffe machen die Arbeit von Naturschutzorganisationen gefährlich und unbeständig.
Gleichzeitig führen fehlende staatliche Kontrolle und wachsende wirtschaftliche Not in ganz Myanmar zu einem deutlichen Anstieg von Wilderei und illegalem Wildtierhandel.
„Wir wissen, dass die Tiger innerhalb von fünf bis zehn Jahren aus dieser Region verschwinden könnten, wenn wir nicht aktiv werden.“
Su Su Yamin, Referentin für Wildtierschutz und Wildtierhandel beim WWF Myanmar
Gemeinsam für Natur und Tiger in Nagaland
Der WWF arbeitet eng mit den Tangshang-Naga-Gemeinden zusammen, um gemeinsam mit ihnen die wertvolle Natur und Kultur ihrer abgelegenen Heimat zu bewahren. Dazu gehört die Aus- und Fortbildung lokaler Teams im Wildtier-Monitoring. Mit bemerkenswerten Ergebnissen:
Kamerafallen, Patrouillen im Feld und eDNA aus der Umwelt
Es sind Freiwillige der lokalen Naturschutzorganisation N-Ca (Naga Biodiversity Conservation Association), welche das Wildtier-Monitoring verantworten, Kamerafallen aufstellen, Bilder auswerten und auf kilometerlangen Patrouillen zu Fuß nach Spuren suchen.
Ohne sie wäre diese Forschung nicht möglich. N-Ca ist von Einheimischen gegründet und getragen und der wichtigste Partner des WWF in der schwer erreichbaren Region.
Ihre Beobachtungen sichern die Feldpatrouillen mit Hilfe der SMART Technologie.
Sie konnten bisher zahlreiche Jagdcamps und Schlingfallen entfernen und mindestens 19 gefährdete Arten nachweisen. Darunter Tiger, Elefanten, Leoparden, Nebelparder und Asiatische Wildhunde.
Um das schwierige Gelände besser zu erkunden, setzt das Team auch auf Umwelt-DNA-Untersuchungen (eDNA): Inzwischen lässt sich das Erbmaterial von Tieren sogar aus Pfotenabdrücken, Haarresten oder Partikeln in der Luft – und wie im Fall von Nagaland aus Wasserproben – nachweisen.
„Es gibt nur fünf Monate im Jahr, in denen man diese abgelegenen Berge erreichen kann.“ – „Und die anderen sieben?“ Su Su Yamin zieht die Augenbrauen hoch. „Das ist nicht zu empfehlen“, lacht sie.
Gespräch mit Su Su Yamin vom WWF Myanmar
„Einen Ort wie Nagaland gibt es sonst nirgendwo“
Von Myanmars ehemaliger Hauptstadt Yangon ist es eine beschwerliche, dreitägige Reise per Flugzeug, Auto und Motorrad bis ins entlegene nördliche Nagaland, vorbei an zahlreichen Kontrollposten. Erst seit 2023 ist der WWF in der Region aktiv. Seitdem wurde viel erreicht.
Im Mittelpunkt stehen der enge Dialog und die Zusammenarbeit mit den Tangshang-Naga-Gemeinden.
In langen Gesprächen ergründen Su Su Yamin vom WWF Myanmar und ihre Kolleg:innen zusammen mit den indigenen Gemeinden Nagalands, wie sich die Realitäten des täglichen Lebens und uraltes kulturelles Wissen mit modernem Naturschutz verbinden lassen.
Dabei geht es um heilige Berge, Seen und Wälder, die seit Generationen geschützt werden und nun als künftige Schutzgebiete anerkannt werden könnten.
„Diese Landschaft hat enormes Potenzial und gemeinsam können wir hier so viel bewegen“, betont Su Su Yamin. „Absolut“, fügt ihre Kollegin Margaret Myint hinzu, Artenschutzreferentin beim WWF Myanmar: „Einen Ort wie Nagaland gibt es sonst nirgendwo!“
Natur und Kultur bewahren
Wie viele Gemeinden in abgelegenen Gebieten kämpfen auch die Tangshan um ihre eng mit der Natur verbundenen Traditionen. Kultur, Jagd, Heilpflanzen, natürliche Baumaterialien und traditionelle Anbaumethoden haben ein umfassendes Bewusstsein für das Ökosystem geschaffen.
Doch seit einigen Jahren kommt dieses Gleichgewicht ins Wanken.
Große Gebiete, insbesondere im südlichen Nagaland, wurden für die landwirtschaftliche Nutzung umgewandelt, Lebensräume degradiert und die Region liegt an der Grenze zu Indien günstig für den illegalen Handel mit Wildtieren. Vor allem die Beutetiere der Tiger werden stark bejagt.
Um die Wilderei zu verringern, den Druck auf die Wälder und Beutetiere der Tiger zu nehmen und die Lebensgrundlagen der lokalen Bevölkerung zu verbessern, unterstützt unsere Partnerorganisation N-Ca die Gemeinden in nachhaltiger Landwirtschaft und Viehhaltung.
Ausstellungen, Informations- und Diskussionsveranstaltungen sensibilisieren außerdem für den Wildtierschutz.
Frauenkomitees als ein Herzstück lokalen Naturschutzes
Das Leben in den abgelegenen Dörfern ist stark von der Gebirgslandschaft geprägt. Viele Häuser liegen auf Bergkämmen und Frauen und Kinder legen täglich weite Wege zu Fuß zurück, um Feuerholz, Bananenblätter, frischen Reis und lokal gebraute Getränke zu besorgen.
In Anerkennung der wichtigen Rolle und des Einflusses der Frauen auf Gemeindeleben und Naturschutz wurden in mehreren Gemeinden Frauenkomitees gegründet. Als Wegbereiterinnen und Lehrerinnen geben die Frauen ihr Wissen über nachhaltige Anbaumethoden und die Verbindung zwischen Mensch und Natur an die nächste Generation weiter.
„Mein Rat an junge Frauen lautet, entschlossen zu bleiben! Mit Leidenschaft können wir alles erreichen.“
Eine Komiteeleiterin aus Nagaland
Nagaland: Land des Tigers
„Die Geister unserer Vorfahren wohnen in den Tigern. Wenn sie uns im Traum besuchen, kommen sie in Form eines Tigers“, erklärt Projektleiter Nwan von der lokalen Naturschutzorganisation N-Ca.
Die Verehrung des Tigers in Nagaland wurde von Generation zu Generation weitergegeben und durch hölzerne Tigertotems symbolisiert, die in vielen Tangshan-Dörfern zu finden sind und Stärke und Schutz symbolisieren.
Nagaland ist einzigartig und faszinierend, reich an Kulturen und vielen Geschichten, die noch erzählt werden können – und kann einen wichtigen Beitrag zur Erhaltung der Tiger auf unserer Erde leisten.
Zusammen mit den Tangshang-Naga-Gemeinden möchten wir diesen besonderen Ort unbedingt bewahren!
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