Als im Jahr 2000 der erste wildlebende Wolf in Sachsen geboren wurde, war das eine Sensation. Galten Wölfe doch seit Mitte des 19. Jahrhunderts in Deutschland als ausgerottet. Von Osteuropa aus hatten sich die Rudeltiere seit Ende der 1990er Jahre auf den Weg gen Westen gemacht. Im Monitoringjahr 2023/2024 lebten 209 Wolfsrudel in Deutschland, vor allem in Brandenburg, Niedersachsen und Sachsen.
Das EU-Parlament hat den Schutzstatus des Wolfes im Mai 2025 herabgestuft. Damit werden Forderungen nach einem „aktiven Wolfsmanagement“ wieder lauter. Ein Bejagen des Wolfes würde vor Übergriffen auf Nutztiere jedoch kaum schützen.
Übergriffe auf Herden

Mit dem Anwachsen der Population stiegen auch die Konflikte zwischen Wölfen und Nutztierhalter:innen. Besonders Schäfer:innen und Landwirt:innen beklagen Übergriffe auf ihre Herden. Dies führte jüngst – im Mai 2025 – dazu, dass das EU-Parlament den Schutzstatus der Wölfe von „streng geschützt“ auf „geschützt“ herabstufte. Die Herabstufung erfolgte, obwohl der Wolf die Kriterien für solch eine Herabstufung nicht erfüllt, denn in vielen Regionen Europas ist der Wolf immer noch nicht in einem günstigen Erhaltungszustand.
Einige Verbände und Politiker:innen fordern bereits ein „aktives Wolfsmanagement“, also eine Regulierung des Wolfsbestands, um Nutztiere besser zu schützen. Manche plädieren sogar für eine Aufnahme der Wölfe ins Jagdrecht mit festgelegten Quoten und Jagdzeiten.
Politisch motivierte Entscheidung
Sybille Klenzendorf, Wolfsexpertin beim WWF, sieht diese Herabstufung kritisch. Sie bezeichnet die Entscheidung als „politisch motiviert“ und argumentiert, dass es keine wissenschaftliche Grundlage dafür gibt. „Eine Lockerung des Schutzstatus ist nicht einmal ein effektives Mittel, um die Zahl der Nutztierrisse durch Wölfe zu verringern,“ betont sie.

Die EU-Entscheidung darf keinesfalls als Freibrief für eine unkontrollierte Bejagung der Wölfe verstanden werden. Vor einer solchen Maßnahme muss zunächst die Bewertung des Erhaltungszustands der verschiedenen Wolfspopulationen abgewartet werden. Ein aktueller Erhaltungsbericht steht kurz bevor. Die genauen Daten auf Basis der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH-Richtlinie) sollen zeitnah veröffentlicht werden. Es wird erwartet, dass sowohl die alpine als auch die kontinentale Wolfspopulation weiterhin als gefährdet eingestuft werden.
Die Forderung, den Wolfsbestand jagdlich zu regulieren, ist nicht neu. Häufig wird sie mit der Sicherheit von Menschen und der Reduktion von Nutztierrissen begründet. Zudem erhofft man sich dadurch eine höhere gesellschaftliche Akzeptanz des Wolfes.
Unrealistische Szenarien
Die Jagd auf Wölfe, wie sie in vielen Teilen der Welt traditionell praktiziert wird, um Schäden an Nutztieren zu vermeiden, zeigt jedoch keine signifikanten Erfolge – außer bei einer drastischen Reduzierung des Wolfsbestands oder dessen vollständiger Auslöschung. Beide Szenarien sind weder realistisch noch mit dem Artenschutz vereinbar. Ebenso wenig ist es möglich, bestimmte Regionen durch gezielte Jagd dauerhaft wolfsfrei zu halten, da die Tiere große Distanzen zurücklegen und neue Gebiete schnell besiedeln.
Die Behauptung, weniger Wölfe würden automatisch weniger Schäden verursachen, ist ebenfalls nicht haltbar. Vergleichende Daten aus Europa zeigen keinen Unterschied in der Zahl der Nutztierschäden zwischen Ländern, die Wölfe jagen, und solchen, in denen die Jagd verboten ist. Der Schlüssel liegt vielmehr im Herdenschutz.
In mehreren Ländern wurde bereits versucht, die Nutztierrisse durch eine Wolfs-Abschussquote zu reduzieren. Vergleicht man jedoch das Ausmaß der von Wölfen verursachten Nutztierschäden in Europa, lässt sich jedoch kein Unterschied zwischen Ländern, in denen der Wolf bejagt wird, und solchen, in denen das nicht erlaubt ist, erkennen.
Erlernte Beutegewohnheiten
Der Grund? Wölfe lernen ihre Beutegewohnheiten von ihren Eltern. Aus diesem Grund werden Rinder beispielsweise kaum angegriffen. Schafe werden zur bevorzugten Beute, wenn sich für Wölfe die Gelegenheit ergibt, da diese leichter zu erlegen sind als Rehe oder Wildschweine. Sind Schafe nicht ausreichend geschützt, erhöhen sich die Übergriffe.

Daten aus Norwegen und Schweden verdeutlichen dies: In Norwegen tötet ein Wolf etwa 40-mal mehr Schafe als in Schweden. Und das, obwohl nur 7 Prozent der norwegischen Schafe im Wolfsgebiet gehalten werden, während es in Schweden etwa die Hälfte sind. Der große Unterschied ist, dass schwedische Schafe hinter Zäunen gehalten werden, meist hinter Elektrozäunen, während norwegische Schafe frei und ungeschützt weiden.
Für den Abschuss von sogenannten „Problemwölfen“ gibt es bereits Sonderregelungen. Auch diese Maßnahmen verhindern Risse jedoch nur bedingt. Oft lassen sich die betreffenden Tiere schwer identifizieren, und ungeschützte Herden bleiben weiterhin anfällig für Übergriffe.
Zäune und Schutzhunde

„Konflikte zwischen Wölfen und Nutztieren lassen sich nicht ziellos mit dem Jagdgewehr lösen“, erklärt Klenzendorf. Ihrer Ansicht nach sind Schutzmaßnahmen wie Elektrozäune und Herdenschutzhunde die effektivsten Mittel, um Schäden zu reduzieren.
Übergriffe können dadurch zwr nicht vollständig verhindert werden, aber wissenschaftliche Daten zeigen, dass sie deutlich minimiert werden.
Gefährlicher Präzedenzfall
Die nächsten Schritte für die Herabstufung des Wolfs auch im Deutschen Recht, um den Wolf dann letztendlich unspezifisch jagen zu können, wird in den kommenden Monaten sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene erwartet. Für Klenzendorf geht es dabei um mehr als den Wolf allein:
„Ich fürchte, dass die Causa Wolf ein gefährlicher Präzedenzfall sein könnte, um die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie insgesamt zu schwächen. Nach den Angriffen auf den Wolf könnten ähnliche Versuche bei Ottern, Luchsen, Greifvögeln und anderen ‚unbequemen‘ Wildtieren folgen. Die Debatte darf den europäischen Artenschutz nicht untergraben!“
Sybille Klenzendorf, Wolfsexpertin beim WWF
Weitere Informationen
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Die Wölfe sind in Gefahr
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Herdenschutz
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Naturfilm „Wölfe und Menschen - Wege zur Koexistenz“
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Verbreitung des Wolfs in Deutschland