Mehr als 228 Flussdelfine sind seit dem 25. September im Lago Tefé im brasilianischen Bundesstaat Amazonas ums Leben gekommen – betroffen sind sowohl der rosa Flussdelfin als auch der Tucuxi, der grau und etwas kleiner ist. Das Massensterben der seltenen Tiere macht offenkundig, wovor Forscher:innen und Umweltschützer:innen schon lange warnen: Im Amazonasgebiet rückt der ökologische Kipppunkt näher.

Dirk Embert © Delia Wöhlert
Dirk Embert © Delia Wöhlert

Liebe Spender:innen,

die Lage am Tefé-See verschlimmert sich leider immer weiter. Die Dürre geht weiter und der Wasserstand sinkt auch immer weiter. Die sowieso schon dramatische Situation für die Menschen und Tiere dort wird immer schlimmer. Nun gibt es auch erste Berichte von anderen austrocknenden Seen, welchen wir nachgehen. Da aber Boote die normalen Fortbewegungsmittel sind, inzwischen aber meist nicht mehr genug Wasser zur Nutzung von Booten da ist, müssen wir diese Kontrolle der anderen Seen wahrscheinlich von einem Hubschrauber aus machen. Schon am Tefé-See arbeiten der WWF, der brasilianische Staat und unsere Partnerorganisationen bereits am Limit. Tote Delfine werden geborgen damit das wenige verbliebene Restwasser nicht noch stärker kontaminiert wird. Am wichtigsten aber ist, die Menschen vor Ort mit Wasser und Lebensmitteln zu versorgen und natürlich die noch lebenden Delfine aus den Tümpeln zu retten und in tiefere Gewässer zu bringen. Dies ist ein extrem aufwändiges und kostspieliges Unterfangen. Manchmal braucht man für nur einen Delfin mit einer Truppe von zehn Helfern einen halben Tag. Aber es lohnt sich für jeden einzelnen Delfin! Jeder gerettete Delfin ist auch ein Verdienst von Ihnen, unseren Spender:innen, denn ohne Ihre finanzielle Unterstützung für die Helfer:innen vor Ort wäre diese Rettungsaktion fast unmöglich gewesen. Im Namen der Menschen und der Delfine vor Ort möchten wir Ihnen deshalb herzlich Danken.

Derzeit herrschen im Amazonasgebiet hohe Temperaturen, es gibt kaum Niederschläge. Eigentlich normal um diese Zeit, doch dieses Jahr wird die Dürre durch El Niño verstärkt, ein Wetterphänomen, das alle paar Jahre auftritt. Die Folge: Nicht nur sind die Pegelstände extrem niedrig – in einigen Zuflüssen des Amazonas hat das Wasser so hohe Temperaturen erreicht, wie sie noch nie zuvor gemessen wurden.

Der Lago Tefé liegt an einem dieser Amazonaszuflüsse. Und wahrscheinlich haben die hohen Wassertemperaturen von bis zu 39,1 Grad Celsius zum Tod der Flussdelfine geführt, so die momentane Hypothese der Forscher:innen – zehn Prozent der Flussdelfin-Populaton im Laog Tefé starb in nur einer Woche. Die Situation ist umso dramatischer, als die Rote Liste der Weltnaturschutzunion IUCN beide Flussdelfin-Arten bereits als stark gefährdet listet. „Wir haben in zahlreichen Studien gezeigt, welchen Bedrohungen die Tiere ausgesetzt sind“, erklärt Mariana Paschoalini Frias, Naturschutzspezialistin beim WWF Brasilien. „Neben Wasserkraftwerken, Quecksilberverschmutzung und Konflikten mit Menschen sind die kleinen Süßwasserdelfine nun auch direkt vom Klimawandel betroffen!“

Dürre trifft Menschen, Tiere und Pflanzen

Doch nicht nur die Flussdelfine, auch tausende andere Arten, die in den Wasserökosystemen des Amazonasgebiets leben, leiden unter der verheerenden Dürre. Vor allem aber ist die lokale Bevölkerung betroffen: Denn die Flüsse des Amazonasbeckens beherbergen nicht nur eine riesige Artenvielfalt, sie sind Einkommensgrundlage, sie dienen als Transportwege und als Quellen für Nahrung, Wasser und Energie. Der niedrige Wasserstand bringt die Menschen in unkalkulierbare Schwierigkeiten.

Das viel zu warme Wasser lässt außerdem die Fische sterben, das hat in zahlreichen Gemeinden bereits eine Nahrungsmittelkrise ausgelöst. Und weil die verendeten Fische das Wasser verschmutzen, ist auch der Zugang zu Trinkwasser in Gefahr.

Allein im brasilianischen Bundesstaat Rondônia sind schon jetzt 640 Familien aus zehn Gemeinden ohne sauberes Wasser und ohne ausreichend Lebensmittel. Die Menschen im Amazonasgebiet brauchen jetzt unsere Hilfe! Denn ein Ende der Dürre ist nicht in Sicht – im Gegenteil.

Wettlauf gegen die Zeit

Der Flussdelfin ist ein Opfer der Dürre © Adriano Gambarini
Der Flussdelfin ist ein Opfer der Dürre © Adriano Gambarini

Auch die Rettung der Flussdelfine, die sich noch in den warmen Gewässern im Lago Tefé aufhalten, gestaltet sich als Wettlauf gegen die Zeit. Die Abgeschiedenheit der Region erschwert den Einsatz der Hilfskräfte. „Zuerst haben wir versucht, die Kadaver aus dem Wasser zu holen, was bei der großen Anzahl toter Tiere aber unmöglich ist“, berichtet André Coelho vom staatlichen Forschungsinstitut Mamirauá. „Die lebenden Delfine in andere Flüsse zu bringen, ist im Moment nicht sicher, da wir dort zunächst die Wasserqualität prüfen müssen“, ergänzt der Wissenschaftler. Deshalb bringen Freiwillige und Fachkräfte des Instituts und des WWF Brasilien die Delfine nun mit vereinten Kräften vom Ufer des Lago Tefé in tiefere Gewässer. Denn dort haben sie bessere Überlebenschancen.

Parallel dazu haben die Wissenschaftler:innen und Naturschützer:innen eine Art Floß mit einem Wasserbecken organisiert, in dem die überlebenden Delfine aufgenommen und kontinuierlich überwacht werden können. Um die Ursache des Massensterbens im Detail zu klären, werden Boden- und Wasserproben entnommen und analysiert, die Forscher:innen prüfen außerdem, ob eventuell ein Algengift eine Rolle beim Tod der Delfine gespielt hat. Tatsächlich fanden die Forscher:innen an einer Stelle des Sees eine ungewöhnlich hohe Anzahl einer Algenart fest, die ein Toxin produziert, das bei Fischen zum Tod führen kann. Die Untersuchung der Flussdelfine hat jedoch nicht bestätigt, dass diese Toxine auch bei den Delfinen zum Tod geführt haben könnten, auch Hinweise auf Krankheitserreger gibt es nicht. Wahrscheinlicher für das Massensterben ist der Hitzestress, verursacht durch Wassertemperaturen von fast 40 Grad Celsius.

„Wir müssen sofort wirksame Schutzmaßnahmen für die Flussdelfine ergreifen“, so Mariana Paschoalini Frias. „Aber langfristig ist mehr Forschung erforderlich, damit wir herausfinden, wie sich der Klimawandel und der Rückgang der Gewässer auf die Tiere auswirkt.“

Klimakrise verschärft die Folgen der Trockenheit

Abholzung in Brasilien © Edward Parker / WWF
Abholzung in Brasilien © Edward Parker / WWF

Denn laut Weltklimarat (IPCC) verschärft die Erderhitzung die Intensität von Dürren und Trockenzeiten – mit jedem Grad der globalen Erwärmung nehmen die mit Wassermangel verbundenen Risiken zu. Laut MapBiomas hat Brasilien in nur drei Jahrzehnten rund 1,5 Millionen Hektar Wasserfläche verloren, das entspricht ungefähr der zehnfachen Größe des Großraums London.

Die aktuelle Trockenphase wird sich in den kommenden zwei Wochen wahrscheinlich weiter zuspitzen. Schon jetzt machen sich die Wissenschaftler:innen und Naturschützer:innen auf die Meldung weiterer toter Flussdelfine gefasst. Denn in weit abgelegene Regionen, wie beispielsweise das Einzugsgebiet des Rio Solimões nördlich der Stadt Tefé, können die Rettungsteams kaum vordringen.

Traurige Warnung an uns alle

Flussdelfine sind ein Indikator für ein intaktes Ökosystem. Ihr Massensterben ist eine traurige und eindeutige Warnung an uns alle: Der Amazonas muss dringend geschützt und der Kampf gegen die Klimakrise verstärkt werden. Bei diesem Kampf geht es primär darum, den Einsatz fossiler Brennstoffe zu reduzieren und die Abholzung der Wälder zu stoppen.

Denn verliert der Amazonas mehr als 25 Prozent seiner ursprünglichen Fläche, ist der sogenannte Kipppunkt erreicht. Das regionale Klima könnte sich derart ändern, dass sich große Teile des verbliebenen Regenwaldes langfristig in eine Steppe verwandeln. Und das wiederum hätte fatale Folgen für das Weltklima.

Der WWF fordert deshalb: Die Entwaldung muss gestoppt werden und 80 Prozent des Amazonasgebiets müssen bis spätestens 2030 unter Schutz gestellt werden – begleitet von weltweiten Anstrengungen, den durchschnittlichen Temperaturanstieg unter 1,5 Grad Celsius zu halten.

World River Dolphin Day macht Hoffnung

Am 24. Oktober 2023 ist World River Dolphin Day, also Welttag der Flussdelfine. Und dieses Jahr werden die Teilnehmenden eine globale Erklärung unterzeichnen, um den Rückgang der Flussdelfinpopulationen in Südamerika zu stoppen und die Flussdelfinpopulationen in Asien zu verdoppeln.

Zu den Unterzeichnenden der Deklaration gehören Regierungsvertreter:innen der 14 Verbreitungsländer der Flussdelfine, Vertreter:innen der Vereinten Nationen, Nichtregierungsorganisationen, Universitäten, Unternehmen und öffentliche Geldgeber:innen. Sie verpflichten sich unter anderem dazu, nicht-nachhaltige Fischereipraktiken abzuschaffen und ein gut verwaltetes Schutzgebietsnetzwerk für die Flussdelfine zu schaffen.

Die globale Deklaration ist ein großer Schritt in die richtige Richtung: Denn wir müssen jetzt gemeinsam handeln, um die Flussdelfine und die Flüsse, in denen sie leben, weltweit zu schützen. Nur so können wir den Millionen von Menschen helfen, deren Lebensgrundlage von diesen Flüssen abhängt!