Die Sandkoralle im Steckbrief

Verwandtschaft Familie der Sandkorallen (Sabellaridae) in der Ordnung Canalipalpata aus der Klasse der Vielborster (Polychaeta). Leicht zu verwechseln mit Sabellaria alveolata.
Größe ca. 3 cm, die Wohnröhren mehr als zehnmal so lang
Besonderheiten Bauen Wohnröhren aus Sand und Muschelschill. Sandkorallen- oder Sabellaria-Riffe gehören zu den „biogenen“ – also von Lebewesen aufgebauten – Riffen.
Fortpflanzung getrenntgeschlechtlich; Gameten werden ins Wasser abgegeben. Anzahl der Eier unbekannt.
Lebenserwartung unklar, vermutlich ähnlich wie verwandte Art Sabellaria alveolata 3 – 5 Jahre
Geografische Verbreitung Europäische Küsten außer Ostsee, Kattegat und Skagerrak. Sabellaria-Riffe finden sich um die Britischen Inseln (OSPAR Region II und III) sowie ehemals im Wattenmeer (OSPAR Region II).
Lebensraum bevorzugt im Sublitoral (dem ständig wasserbedeckten Bereich) und im unteren Eulitoral. In UK Riffe v.a. in Tiefen zwischen 10 und 50 m.
Ernährung Filtrierend, lebt von Phytoplankton und Detritus, die aus dem Meerwasser gefiltert werden.
Gefährdungsstatus Rote Liste Deutschlands – gefährdete Meeresorganismen: stark gefährdet, sehr selten. OSPAR Regions II und III bedroht oder im Rückgang befindlich.
Ökosystemleistungen Die durch Sabellaria spinulosa gebildeten biogenen Riffe festigen lose Sedimente, erhöhen die Struktur des Meeresbodens und bieten Ansiedlungsmöglichkeiten für Algen und andere festsitzende Arten wie Köpfchenpolyp. Sie bieten Nahrung und Schutz für weitere Arten, z.B. Krebstiere, Wellhornschnecke, Seezunge und Scholle.

Wo werden Sandkorallen in der zoologischen Systematik eingeordnet?

Von Ordnungen, Familien und Arten

Sandkorallen (Sabellariidae) bilden eine Familie in der Klasse der Vielborster (Polychaeta). Zur Familie der Sandkorallen gehören mehrere Arten, die alle eine sessile – festsitzende – Lebensweise haben, Wohnröhren bauen und sich filtrierend ernähren. Die verschiedenen Arten sind unterschiedlich groß und sind weltweit in den Meeren zu finden. Die in Europa am bekanntesten Sandkorallen sind der Pümpwurm oder Sandröhrenwurm Sabellaria spinulosa und der Trichterwurm oder Südliche Sandkoralle Sabellaria alveolata. Sie bevorzugen unterschiedliche Lebensräume und haben ein etwas anderes Aussehen.

Wie sehen Sandkorallen aus?

Merkmale, Eigenschaften und Besonderheiten

Unter günstigen Bedingungen bildet Sabellaria spinulosa mit ihren festen Wohnröhren Riffe. © Ken Collins
Unter günstigen Bedingungen bildet Sabellaria spinulosa mit ihren festen Wohnröhren Riffe. © Ken Collins

Die Bezeichnung „Sandkoralle“ ist durchaus irreführend, denn es handelt sich um vielborstige Würmer. Sie werden auch als Röhrenwürmer bezeichnet, da sie sich Wohnröhren bauen. Der Wurm selbst wird bis zu drei Zentimeter lang, besteht aus bis zu 40 Segmenten, die ab dem zweiten Segment mit Kiemen besetzt sind. Diese werden zum Ende hin immer kleiner. Sabellaria spinulosa ist leicht rötlich gefärbt. Die beiden Segmente an seinem oberen (dem vorderen trichterförmigen) Ende weisen je einen hufeisenförmigen Kreis kurzer, leuchtender Borsten auf. Diese Borsten sind zu Kämmen oder Fächern zusammengefasst und dadurch geeignet, Nahrungspartikel aus dem Wasser zu filtern.

Der Mund ist mit kurzen Tentakeln besetzt. Die oberen Segmente mit den Borsten formen den Deckel, mit dem die Wohnröhre auch verschlossen werden kann. Am zweiten Segment befindet sich auch eine Zementdrüse. Mit ihr produziert der Wurm einen speziellen, schleimigen Kitt, mit dem er Sandkörner und Muschelschill verkleben und seine Wohnröhre bauen kann. Für den Bau und das Wachstum der Röhren – die etwa zehnmal so lang werden können wie der Wurm selbst – kann er Sandkörner und Muschelteilchen aktiv auswählen. Die Größe der verbauten Partikel hängt vom Alter der Würmer ab – ältere und größere Würmer verwenden größere Teilchen zum Bau ihrer Wohnröhren. Zwischen einem und fünf Milimetern pro Woche können die Wohnröhren „wachsen“. Bei Sabellaria spinulosa können die Wohnröhren im Riffverband 30 bis 50 cm lang werden, die Riffe bis zu einem Meter über den Meeresboden aufragen.

Ist Sabellaria spinulosa mit anderen Arten zu verwechseln?

Sabellaria spinulosa ähnelt stark der Südlichen Sandkoralle/Trichterwurm Sabellaria alveolata. Sie unterscheidet sich von dieser vor allem in der Form der Borsten in der äußeren und der mittleren Reihe auf dem Deckel. Die Männchen erreichen eine Länge von zwei bis drei Zentimetern, die Weibchen sogar bis zu zehn Zentimeter. Dese Art kommt vor allem an den mittel- und südeuropäischen Küsten im Eulitoral vor. Aufgrund ihrer Lebensweise im trockenfallenden Bereich lässt sie sich leichter erforschen als ihre Verwandten im ständig wasserbedeckten Sublitoral. Die Wohnröhren sind bei Sabellaria alveolata nicht so lang und die Riffe werden weniger mächtig. Aufgrund der Ähnlichkeit der Wohnröhren mit Bienenwaben wird diese Art auf Englisch als Honeycomb-Worm bezeichnet.

Was ist über die Fortpflanzung von Sandkorallen bekannt?

Von der Paarung über die Entwicklung der Jungen bis zum Erwachsenenalter

Sabrellaria-Wohnröhren (auch Sandkoralle genannt) © Katrin Wollny-Goerke
Sabrellaria-Wohnröhren (auch Sandkoralle genannt) © Katrin Wollny-Goerke

Sabellaria spinulosa ist getrenntgeschlechtlich. Die Würmer werden bereits im ersten Jahr geschlechtsreif. Die Weibchen und Männchen entlassen ihre Gameten zum gleichen Zeitpunkt innerhalb der Kolonie, so dass die Befruchtung im freien Meerwasser stattfindet. Der Zeitpunkt der Fortpflanzung ist noch nicht endgültig geklärt. Für das Wattenmeer gibt es Belege aus Veröffentlichungen in den 1990er Jahren, dass Massenbeobachtungen von Larven vor allem zwischen Sommer und Herbst erfolgten. Englische Untersuchungen geben als Reproduktionszeitraum Januar bis März an. Aus den befruchteten Eiern entwickeln sich innerhalb von zwölf Stunden freischwimmende Trochopora-Larven. Je nach Umweltbedingungen leben diese zwischen sechs Wochen und zwei Monaten im Larvenstadium.

Reife Larven erkunden am Ende dieser Phase mit ihren Tentakeln die Umgebung und die Ansiedlungsmöglichkeiten. Sie spüren diese chemotaktisch auf. Bevorzugt lassen sie sich auf bereits bestehenden Riffen ihrer Artgenossen nieder und beziehen dort entweder leere Wohnröhren oder bauen eigene, neue Röhren. Die noch schleimigen Wohnröhren von gerade entwickelten Jungwürmern können dabei stimulierend für die Ansiedlung weiterer Larven wirken. Direkt nach der Ansiedlung erfolgt die Umwandlung (Metamorphose) zum Wurm. Fruchtbarkeit und Reproduktionserfolg scheinen stark zu schwanken. Voraussetzung für die Bildung von Riffen sind – neben dem Vorhandensein geeigneten harten Untergrunds – eine Massenentwicklung der Larven und Strömungsbedingungen, die die Larvenwolken konzentrieren. Es ist noch nicht hinreichend belegt, wie alt Sabellaria spinulosa wird. Oft überleben die Tiere nur ein Jahr. Es gibt jedoch Hinweise darauf, dass sie ähnlich alt werden können wie ihre Verwandte, Sabellaria alveolata. Ihre Lebenserwartung wird mit drei bis fünf Jahren angegeben, es wurden auch schon bis zu neun Jahre alte Tiere nachgewiesen.

Wie ernähren sich Sandkorallen?

Alles über ihre Nahrung und Ernährungsweise

Sabellaria-Würmer sind Filtrierer, das heißt, sie filtern aus dem Meerwasser ihre Nahrung. Diese besteht überwiegend aus pflanzlichem Plankton (Phytoplankton) und abgestorbenen organischem Material (Detritus). Mit Hilfe der fächerartigen Borsten an den oberen Segmenten fächern sie sich Meerwasser in die Röhre und filtern mit den Borsten die Nahrungsteilchen heraus. Der Kot wird am Körperende über den nach oben gedrehtem After ausgeschieden. Die Filterleistung von Sandkorallen – beispielsweise im Vergleich zu Miesmuscheln (ein Liter Meerwasser pro Stunde) oder Europäischen Austern (bis zu zehn Liter pro Stunde) – ist weitgehend unbekannt.

Wie leben Sandkorallen und welche Lebensraumansprüche haben sie?

Ihre Lebensweise, Aktivität und Lebensraumanspruch

Der Vielborster Sabellaria spinulosa lebt einzeln oder in kleinen Gruppen in den von ihm gebauten Wohnröhren. Einzelne Wohnröhren auf Steinen und Muschelschalen kommen ebenso vor wie dünnere Krusten mit mehreren Wohnröhren auf solchen Untergründen. Unter günstigen Bedingungen in Gebieten mit starker Strömung (zum Beispiel Gezeitenströmung, Wellen) und hoher Bewegung der Sedimente (Sand- und Schlickteilchen) auf steinigen Gründen oder Sand-Stein-Gemischen können flächenhafte Riffe entstehen. Sabellaria spinulosa bevorzugt dabei ständig wasserbedeckte Bereiche, im Gegensatz zu Sabellaria alveolata. Für S. spinulosa wurden in britischen Studien Wassertiefen von zehn bis 50 Metern nachgewiesen. Solche Sabellaria-Riffe zeichnen sich dadurch aus, dass die Wohnröhren ähnlich wie Orgelpfeifen dicht und nahezu aufrecht wachsen. Eine starke Strömung ist für Sandkorallen von großer Bedeutung, da sie als festsitzende Arten darauf angewiesen sind, dass ihnen der Wasserstrom Nahrungspartikel, vor allem aber auch „Baumaterial“ in Form von Sandkörnern und kleinsten Muschelschalenresten zuträgt, die sie für ihre Röhre verwenden können.

Welche Bedeutung haben Sandkorallen für das Ökosystem?

Mehr über die Lebensgemeinschaft der Sandkorallenriffe

Sabellaria-Riffe bieten anderen marine Arten Schutz, Nahrung und Laichmöglichkeit. © Ken Collins
Sabellaria-Riffe bieten anderen marine Arten Schutz, Nahrung und Laichmöglichkeit. © Ken Collins

Ähnlich den Miesmuschelbänken oder den Riffen der Europäischen Auster haben auch Sabellaria-Riffe wichtige Ökosystemfunktionen: Sie festigen lose Sedimente, erhöhen die Struktur des Meeresbodens und bieten damit einer Vielzahl von Tier- und Pflanzenarten Siedlungs- und Laichmöglichkeiten, aber auch Nahrung. Im Vergleich zum umgebenden Sediment erhöht sich die Anzahl der Arten, insbesondere bei mehrjährigen und hoch aufwachsenden Riffen. Verschiedene Wurmarten, Kleinkrebse, Schnecken, aber auch festsitzende Arten, Muscheln und Algen sind hier zu finden. Sabellarien sind somit als biogene Riffbildner kleine Ökosystem-Ingenieure, die einen eigenen Lebensraum mit vielfältigen Wechselbeziehungen zwischen verschiedenen Arten bilden. So kann beispielsweise ein massenhaftes Auftreten des Schlangensterns als Nahrungskonkurrent das Überleben der Sabellarien beeinträchtigen, zumal Schlangensterne auch Sabellaria-Larven fressen. Wichtige Räuber, die sich von Sabellarien ernähren, sind neben Plattfischen wie Schollen und Seezungen insbesondere Garnelen und Krebse. Arten wie der Taschenkrebs können jedoch auch Höhlen in die Riffe graben und damit die Struktur des Riffs destabilisieren. Ein zu starker Bewuchs mit Algen oder Miesmuscheln kann die Öffnungen der Wohnröhren verdecken und so die Filtrierleistung der Sabellarien einschränken bzw. zu einem Mangel an Baumaterial führen.

Wodurch sind Sandkorallen und Sandkorallenriffe bedroht?

Bedrohungen, Gefährdungsstatus

Angespültes Stück aus einem Sandkorallenriff © Hans-Ulrich Rösner / WWF
Sandkorallenriffe gab es ehemals auch im Wattenmeer. © Hans-Ulrich Rösner

Aufgrund der fragilen Bauweise der Wohnröhren sind Sandkorallen-Riffe sehr empfindlich gegenüber mechanischer Zerstörung. Sabellaria spinulosa ist zwar in der Lage, kleinere Beschädigungen zu reparieren. Gänzlich zerstörte Wohnröhren können jedoch nicht ersetzt werden, und außerhalb der Wohnröhren sind Sabellarien nicht überlebensfähig. Das Auseinanderbrechen der Wohnröhren destabilisiert den gesamten Riffverband und nimmt den hier lebenden weiteren Arten den Lebensraum. Die Schleppnetzfischerei mit schwerem grundberührendem Geschirr (Dredgen, Grundtauen, Scherbrettern) gilt als wichtigste Gefährdungsursache für Sabellaria-Riffe.

Die von Sandkorallen besiedelten Bereiche sind von großem Interesse für verschiedene Fischereien. So halten sich beispielsweise gerade die großen Exemplare der Nordseegarnelen in den tiefen Rinnen und Prielen auf. Hier, im Bereich der ehemaligen Vorkommen der Sabellaria-Riffe im Wattenmeer ist die Krabbenfischerei (Garnelenfischerei) besonders intensiv. Sie gilt als einer der Hauptgründe für das Verschwinden dieser besonderen Riffe im Wattenmeer. Interviews mit ehemaligen Fischern, die der WWF 2011 durchgeführt hat, verdeutlichten, dass sich früher in den Netzen häufig größere Bruchstücke von Sandkorallen befanden. Und es gab sogar Aussagen von Fischern, dass in Einzelfällen in der Vergangenheit absichtlich Sandkorallen-Riffe zerstört wurden, um die Netze vor einem Festhaken oder dem Zerreißen am Grund zu schützen.

Verlassene und ältere Sabellaria-Wohnröhrenaggregate, die eine Ansiedlung der Larven dieser Tiere stimulieren könnten, scheinen nicht mehr vorhanden zu sein. Da Erstbesiedlungen von Sandkorallen ungestörte Gebiete an stark durchströmten Gezeitenrinnen erfordern, ist es wahrscheinlich, dass sich aufgrund des großflächigen, sich ständig wiederholenden Einflusses der Fischerei keine robusten Strukturen von Sandkorallen-Riffen mehr neu bilden können. Weitere mechanische Einwirkungen durch Kabel- und Pipelineverlegungen, Fahrrinnenvertiefungen sowie Sedimententnahme wie Sand- und Kiesabbau zählen zu den Bedrohungen von Sabellaria-Riffen. Bereiche, die zwar mechanisch nicht betroffen sind, können aber durch die bei diesen Prozessen entstehenden Aufwirbelungen und Trübungsfahnen betroffen sein, denn die Wohnröhren der Sandwürmer vertragen nur einen begrenzten Eintrag von Sediment. Gleichzeitig sind sie auf eine starke Strömung angewiesen. Somit reagieren sie auch empfindlich auf Strömungsveränderungen, beispielsweise durch Küstenschutzmaßnahmen. Aufgrund der Seltenheit und starken Bedrohungen stehen Sandkorallen-Riffe von Sabellaria spinulosa auf der Roten Liste Deutschlands für die gefährdeten Meeresorganismen und werden hier als sehr selten und stark gefährdet bewertet. In den OSPAR-Regionen II und III gelten Sabellaria spinulosa-Riffe als bedroht oder im Rückgang befindlich.

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