Der Europäische Wisent (Bison bonasus) ist zusammen mit dem amerikanischen Bison der letzte Vertreter der Gattung Bison und das größte Landsäugetier, das heute in Europa vorkommt. Einst reichte das riesige Verbreitungsgebiet von Frankreich bis nach Russland, doch schon Mitte des 20. Jahrhunderts galten sie in Europa in der Wildnis als ausgestorben. Schuld daran waren vor allem die Zerstörung ihres Lebensraums aufgrund der sich ausweitenden Landwirtschaft, sowie ihre intensive Bejagung.

Während die Unterart des Flachlandwisents als Reinform bis heute überlebt hat, gibt es die Unterart des Bergwisents nur noch als Mischform. Das es heute überhaupt wieder freilebende Wisente in Europa gibt, ist einem intensiven Arterhaltungsprogramm Mitte des 20. Jahrhunderts zu verdanken. Mit Hilfe einer kleinen Gruppe von Wisenten die sich damals in privater und zoologischer Haltung befanden, konnte die Art vor dem Aussterben bewahrt werden. Heute leben wieder mehr als 7.000 Wisente in Europa (Stand 2023) und obwohl ihre Anzahl langsam steigt, sind sie nach wie vor auf intensive Schutzmaßnahmen angewiesen. Besonders die Zersiedlung ihrer Lebensräume, sowie die geringe genetische Vielfalt innerhalb der Populationen stellen weiterhin eine Herausforderung für ihr Überleben dar.

Der Wisent im Steckbrief

Verwandtschaft Ordnung der Paarhufer, Familie der Hornträger
Größe Schulterhöhe: 1,50 m – 1,90 m, Körperlänge: 2,40 m – 3,00 m
Gewicht Bullen bis zu 1.000 kg, Kühe bis zu 650 kg
Besonderheiten

größtes Landsäugetier Europas, verfügt über eine sehr dicke und elastische Haut, welche stellenweise bis zu 14 mm dick sein kann, zusammen mit amerikanischen Bison letzte Vertreter der Gattung Bison

Soziale Organisation

Herdentiere, ältere Bullen leben einzelgängerisch, junge Bullen bilden zusammen „Junggesellengruppen“

Fortpflanzung

Paarungszeit von August bis Oktober, Tragzeit von 264 Tagen, Jungtiere werden zwischen Mai und Juli geboren

Jungtiere

in freier Wildbahn nur ein Jungtier pro Wurf, in Gefangenschaft selten auch Zwillinge

Lebenserwartung

maximal 24 Jahre in freier Wildbahn

Geografische Verbreitung

ursprünglich in ganz Europa verbreitet, heute nur noch vereinzelt in Osteuropa, sowie Aserbaidschan und Deutschland

Lebensraum

strukturreiche Landschaften aus Laub-, Misch- und Nadelwäldern, Lichtungen, Weiden und Wiesen

Ernährung

Pflanzenfresser, im Durchschnitt nimmt ein Wisent 48 kg pflanzliches Material pro Tag zu sich

Bestandsgröße

Ungefähr 7.200 Individuen (Stand 2023)

Gefährdungsstatus

Laut Roter Liste der Weltnaturschutzunion IUCN wird der Wisent momentan als „gering gefährdet“ geführt.

Wo werden Wisente in der zoologischen Systematik eingeordnet?

Von Ordnungen, Familien und Arten

Wisent (Europäisches Bison) © Anton Agarkov / WHITEROAD.ME
Wisent (Europäisches Bison) © Anton Agarkov / WHITEROAD.ME

Der Wisent (Europäisches Bison) gehört zur Ordnung der Paarhufer (Artiodactyla) und zur Familie der Hornträger (Bovidae), zu welcher zum Beispiel auch das Hausrind gehört. Zusammen mit dem Amerikanischen Bison (Bison bison) ist der Wisent der letzte Vertreter der Gattung Bison. Die Wisente, die heute in Europa vorkommen, stammen von zwei Unterarten ab. Während der Flachlandwisent (Bison bonasus bonasus), auch Białowieża-Wisent genannt, noch als Reinform existiert, gibt es den Bergwisent (Bison bonasus caucasicus) nur noch als Mischform, welche auch als Flachland-Kaukasus-Linie bezeichnet wird. Diese resultierte aus Kreuzungen zwischen dem damals letzten noch lebenden Bergwisentbullen und einer Gruppe von Flachlandwisenten. Die Reinform des Bergwisents gilt heute dagegen als ausgestorben.

Wie sehen Wisente aus?

Merkmale, Eigenschaften und Besonderheiten

Der Wisent bietet ein imposantes Erscheinungsbild. Mit einer Kopf-Rumpf-Länge von bis zu drei Metern und einer Schulterhöhe zwischen 1,50 Metern und 1,90 Metern sind Wisente heute die größten Landsäugetiere Europas. Zwischen den Geschlechtern gibt es einen markanten Sexualdimorphismus: Die Männchen, auch Bullen genannt, werden deutlich größer und schwerer als die Weibchen. Dabei können große Bullen bis zu 1.000 Kilogramm auf die Waage bringen. Die etwas kleineren Weibchen, die man Kühe nennt, erreichen allerdings immer noch ein Gewicht von bis zu 650 Kilogramm.

Das wohl auffälligste Merkmal des Wisents ist sein Buckel, welcher sich aus Fortsätzen der Brustwirbel bildet und bei den Bullen besonders stark ausgeprägt ist. Im Vergleich zum amerikanischen Bison wirkt der Körper des Wisents etwas schlanker und hochbeiniger. Der Vorderteil des Körpers ist muskulös und massig und wird zum hinteren Teil schlanker. Der Kopf wird von einem kurzen Nacken getragen und hängt tiefer als Schultern und Rücken. Die Ohren sind behaart und im dichten Fell schnell zu übersehen, die Schnauze hingegen ist haarlos. Sowohl die Männchen als auch die Weibchen tragen seitlich des Kopfes nach innen gebogene Hörner, welche über die gesamte Lebensspanne hinweg weiterwachsen. Das dunkel- bis goldbraune Fell ist im Bereich der Brust und der Kehle länger und bildet dort eine Mähne oder auch Bart, der bei den männlichen Tieren etwas markanter ist. Der Schwanz ist ca. 60 Zentimeter lang und endet in einem Schopf langer Haare. Im Gegensatz zu Unpaarhufern wie Pferden verfügen Wisente über einen gespaltenen Huf, aus zwei parallel verlaufenden, verhornten Zehen.

Die Haut von Wisenten ist sehr elastisch, strapazierfähig und kann an der dicksten Stelle im Nacken bis zu 14 Millimeter dick sein.

Wisente in Aserbaidschan © Emil Khalilov / WWF
Wisente in Aserbaidschan © Emil Khalilov / WWF

Als pflanzenfressende Wiederkäuer verfügen sie über 32 Zähne und vier Mägen, bestehend aus drei Vormägen und einem Hauptmagen. Da die pflanzliche Nahrung einen großen Anteil schwer verdaulicher Zellulose enthält, wird sie in den Vormägen von Bakterien langsam zersetzt und von dem Wisent periodisch wieder hochgewürgt und durch Kauen weiter zerkleinert. Der größte der Vormägen, der Pansen, kann bei ausgewachsenen Tieren ein Volumen von mehr als 100 Litern fassen.

Während das Sehvermögen von Wisenten eher schwach ausgebildet ist, haben sie einen sehr guten Geruchssinn und können so zum Beispiel die Anwesenheit von Menschen aus größerer Entfernung wittern. In der Paarungszeit nutzen die Bullen ihren Geruchssinn, um Herden mit Weibchen aufzuspüren.

In freier Wildbahn können die Kühe ein Alter von 24 Jahren erreichen, während die Bullen mit 18 Jahren nicht ganz so alt werden. Das maximale Alter hängt jedoch stark vom Habitat und dem Futterangebot ab, ebenso davon, ob sie zum Beispiel während der kalten Wintermonate zugefüttert werden. In Gehegen gehaltene Tiere können ein noch höheres Maximalalter erreichen, nämlich 27 Jahre bei den Kühen und 20 Jahren bei den Bullen.

Wie leben Wisente?

Die soziale Organisation, Aktivität und Kommunikation

Im Gegensatz zu vielen anderen Arten besitzen Wisente keine typischen Reviere, die sie gegen andere Artgenossen verteidigen. Stattdessen leben sie in großen Streifgebieten, welche sich gegenseitig auch überlappen können. Innerhalb ihres Streifgebietes wechseln die Wisente regelmäßig zwischen verschiedenen Standorten. Die Größe dieser Gebiete ist abhängig von ihrem Habitat und kann zwischen den Jahreszeiten variieren. So beträgt die Größe des Aktionsradius der Wisente im polnischen Białowieża-Urwald während der Sommermonate bis zu 70 Quadratkilometer und in den Wintermonaten nur um die acht Quadtratkilometer. Da sich das Nahrungsangebot während der kalten Jahreszeit stark reduziert, sind die Wisente in Białowieża in dieser Zeit auf Zufütterung angewiesen und konzentrieren ihren Aktionsraum auf die Umgebung rund um die Futterstellen.

Die Kühe leben zusammen mit ihren Kälbern sowie den zwei- bis dreijährigen Jungtieren aus den Vorjahren in kleinen Herden von bis zu 20 Individuen, die von einer Leitkuh angeführt werden. Junge Bullen zwischen vier und sechs Jahren verlassen irgendwann die Gruppen und schließen sich häufig zu kleinen, sogenannten Junggesellengruppen zusammen. Die alten, ausgewachsenen Bullen hingegen leben einzelgängerisch und stoßen nur während der Paarungszeit zwischen August und Oktober zu den Weibchen. Im Winter kann die Gruppengröße auf bis zu 120 Tiere ansteigen, da sich die verschiedenen Herden dann an denselben Futterquellen sammeln.

Was ist über die Fortpflanzung von Wisenten bekannt?

Von der Paarung über die Entwicklung der Jungen bis zum Erwachsenenalter

Kämpfende Wisent-Bullen © Tomas Hulik
Kämpfende Wisent-Bullen © Tomas Hulik

Beginn und Dauer der Geschlechtsreife unterscheiden sich beim Wisent zwischen beiden Geschlechtern. Die Bullen werden zwischen dem zweiten und dritten Lebensjahr geschlechtsreif. Die Kühe erreichen die Geschlechtsreife zwar mit dem dritten Jahr, gebären ihr erstes Kalb aber erst wenn sie zwischen vier und sechs Jahre alt sind. Während die Bullen ihre Paarungsfähigkeit mit Erreichen des zwölften Lebensjahres verlieren, können sich die Kühe bis zu ihrem Lebensende fortpflanzen. Einem Weibchen im Białowieża-Urwald gelang es ihr letztes Jungtier im Alter von 23 Jahren zu gebären und erfolgreich aufzuziehen. Durchschnittlich gebären Wisentkühe im Laufe ihres Lebens neun Kälber, jedoch ist diese Zahl stark von der Qualität des verfügbaren Nahrungsangebot abhängig und kann sich daher zwischen verschiedenen Populationen unterscheiden.

Ab Ende Juli stoßen die alten Bullen periodisch zu den verschiedenen Herden, um die Paarungsbereitschaft der Weibchen zu überprüfen. Während der Paarungszeit, die auch Brunftzeit genannt wird, kann sich das Streifgebiet der Bullen deutlich erhöhen. Auf der Suche nach paarungswilligen Kühen legen sie weite Strecken zwischen verschiedenen Herden zurück. Wissenschaftliche Studien belegen, dass die Bullen während dieser Zeit bis zu acht Herden besuchen und mit diesen jeweils zwei bis sechs Tage verbringen. Jungen Bullen gelingt es zumeist nicht sich im frühen Alter fortzupflanzen, da die älteren Bullen die paarungsbereiten Kühe verteidigen. Jedoch sind Fälle bekannt bei denen junge, geschlechtsreife Bullen zwischen vier und fünf Jahren bereits vor Beginn der eigentlichen Paarungszeit zu den Gruppen der Kühe stießen, um sich in Abwesenheit der älteren Bullen zu paaren. Wisente haben ein polygynes Paarungssystem, was bedeutet, dass sich ein Männchen mit einer Vielzahl von Weibchen verpaart. Um sich den alleinigen Zugang zu den Herden zu sichern, vertreiben die dominanten Bullen ihre männlichen Artgenossen. Dabei legen sie eine Vielzahl unterschiedlicher Imponierverhalten an den Tag. So scharren sie den Boden mit ihren Hufen auf oder urinieren und wälzen sich anschließend darin. Teilweise können sie ganze Büsche oder junge Bäume brechen oder entwurzeln. Dieses Verhalten reicht meist, um Kontrahenten zu vertreiben. Nur selten kommt es zu direkten Kämpfen zwischen Bullen, bei denen sie mit ihren Köpfen und Hörnern aufeinanderstoßen. Hat ein Bulle eine geschlechtsreife Kuh ausgemacht, folgt er ihr für mehrere Tage, um den Augenblick des Östrus (Brunst) nicht zu verpassen. Dabei testet er mit Hilfe des sogenannten Flehmens immer wieder ihre Paarungsbereitschaft. Hierfür hebt er den Kopf in den Nacken und zieht die Oberlippe nach oben, was es ihm erlaubt, Sexualhormone im Urin der Kuh wahrzunehmen. Die eigentliche Paarung dauert dann nur einen kurzen Augenblick.

Die Tragzeit beträgt durchschnittlich 264 Tage. Die Kälber werden zwischen Mai und Juni des folgenden Jahres geboren. Eine Kuh bringt normalerweise nur ein Kalb zur Welt, wobei es bei Wisenten in Gefangenschaft selten auch Fälle von Zwillingen gibt. Kurz vor der Geburt trennt sich die Kuh vom Rest der Herde und stößt erst wieder einige Tage danach zusammen mit dem Kalb dazu. Wisente sind Nestflüchter, das Kalb kommt mit geöffneten Augen zur Welt und schon nach 20 bis 45 Minuten kann es stehen. Ein Wisentkalb wiegt bei der Geburt durchschnittlich zwischen 15 und 35 Kilogramm. Die ersten drei Monate wird es von der Mutter gesäugt, bevor es beginnt, auch pflanzliche Nahrung zu sich zu nehmen. Insgesamt bleibt es für die Dauer von einem Jahr bei seiner Mutter. Während die jungen Söhne die Herden im Alter von drei bis vier Jahren verlassen, bleiben die Töchter häufig in derselben Herde.

Wo leben Wisente?

Ihr Verbreitungsgebiet früher und heute

Eine Gruppe von Wisenten überquert einen Fluss. © JMrocek / iStock / Getty Images
Eine Gruppe von Wisenten überquert einen Fluss. © JMrocek / iStock / Getty Images

Früher war der Europäische Wisent in weiten Teilen Europas von Frankreich über Zentral- und Osteuropa bis nach Russland verbreitet. Sein Verbreitungsgebiet erstreckte sich im Norden bis in das südliche Skandinavien und im Süden bis nach Italien. Von diesem einst riesigen Verbreitungsbiet besiedelt er heute jedoch nur noch einen Bruchteil. Freilebende Wisente gibt es heute noch in Aserbaidschan, Belarus, Bulgarien, Lettland, Litauen, Polen, Rumänien, Russland, der Slowakei und in der Ukraine. In Deutschland gibt es seit 2013 wieder eine kleine Population im Rothaargebirge in Nordrhein-Westfalen.

In welchem Lebensraum kommen Wisente vor?

Wisente bevorzugen abwechslungs- und strukturreiche Wälder und Landschaften, welche sie im Laufe der verschiedenen Jahreszeiten mit ausreichend Nahrung versorgen. Dies können sowohl Mischwälder oder auch ein Mix aus Nadelwäldern und Offenlandschaften sein. Während der Vegetationsperiode im Frühling haben sie einen erhöhten Nahrungsbedarf. So können sie ihre im Winter verloren gegangenen Fettreserven wieder auffüllen. Besonders die Weibchen sind dann auf qualitativ hochwertige Nahrung angewiesen, um ihre Fruchtbarkeit während der Paarungszeit zu gewährleisten. In dieser Zeit bevorzugen sie daher die jungen, nährstoffreichen Triebe von Frühjahrsblühern, welche typischerweise am Waldboden von Misch- und Laubwäldern wachsen.

Wie ernähren sich Wisente?

Alles über ihre Nahrung und Ernährungsweise

Mögliche Herausforderungen: Wildtiere bei der Nahrungssuche © itsajoop / iStock / Getty Images
Mögliche Herausforderungen: Wildtiere bei der Nahrungssuche © itsajoop / iStock / Getty Images

Wisente haben eine geringe Präferenz, was ihre Nahrung betrifft. Als größtes Landsäugetier in Europa, sind sie jedoch auf große Mengen Nahrung angewiesen. Studien zeigen, dass ein Wisent je nach Alter, Habitat und Futterangebot zwischen 30 und 60 Kilogramm frische pflanzliche Nahrung pro Tag zu sich nimmt. Häufig wird die Vegetation der Boden- und Krautschicht gefressen, welche vor allem Gräser und Kräuter beinhaltet.

Sie ernähren sich auch von jungen Trieben und Blättern von Sträuchern wie der Himbeere oder von tiefhängenden Ästen. Außerdem nehmen Wisente Rinde von Baumarten wie Eiche oder Hainbuche zu sich. Dort wo das Nahrungsangebot zu knapp ist, kommt es auch vor, dass Wisente zur Nahrungssuche auf umliegende Felder ausweichen, wodurch Schäden bei der Ernte entstehen können. Da das Futterangebot im Winter stark begrenzt ist, werden viele freilebende Wisentpopulationen zu dieser Zeit mit Heu und Silage zugefüttert.

Wie viele Wisente gibt es?

Ihr Bestand in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft

1924 gab es weltweit nur noch 54 Wisente. Durch gezielte Nachzuchten war die Zahl bis 1974 auf ungefähr 1.664 Tiere angewachsen. Heute gibt es wieder etwa 7.200 Wisente in freier Wildbahn (Stand 2023). Die meisten davon leben in Polen, Belarus und Russland.

Sind Wisente vom Aussterben bedroht?

Ihr Gefährdungs- und Schutzstatus

2020 wurde der Wisent auf der Roten Liste der gefährdeten Arten der Weltnaturschutzunion IUCN von „gefährdet“ auf „gering gefährdet“ herabgestuft. Dies ist vor allem den intensiven Schutzbemühungen und einer Reihe erfolgreicher Wiederansiedlungsprojekte zu verdanken. Der Wisent wird zudem auf Anhang II und IV der sogenannten „Flora-Fauna-Habitat Richtlinie“ geführt, was bedeutet, dass er sowohl in Deutschland als auch in ganz Europa streng unter Schutz steht. Anhang IV verbietet dabei nicht nur die Tötung von Individuen, sondern auch die Zerstörung ihrer „Lebensstätten“.

Die Bedrohungsfaktoren

In Europa galten Wisente Mitte des 20. Jahrhunderts in der Wildnis als ausgestorben. Der Grund für den rapiden Rückgang dieser einst weit verbreiteten Art lag vor allem an der Ausdehnung der Landwirtschaft und den damit einhergehenden Lebensraumverlust. Während ein Großteil der ursprünglichen Wälder gerodet wurde, waren die verbliebenen Habitate durch Äcker, Straßen und Siedlungen stark zerschnitten und voneinander getrennt, was eine Abwanderung und somit einen Austausch zwischen Populationen verhinderte. Neben dem Verlust ihres Lebensraums, waren Wisente aber auch eine begehrte Trophäe und wurden intensiv bejagt. In Deutschland wurde der damals letzte freilebende Wisent bereits 1775 erlegt.

Während der Flachlandwisent als eigenständige Unterart überlebt hat, gilt die Reinform des Bergwisents als ausgestorben. Anfang des 18. Jahrhunderts soll es noch ungefähr 2.000 Bergwisente im Kaukasus gegeben haben, 1880 waren davon bereits nur noch 442 Individuen übrig. Trotz einiger Schutzbemühungen, wie der Etablierung eines Reservats, sank die Zahl bis 1920 auf 50 Tiere. Der letzte freilebende Bergwisent wurde 1927 erlegt.

Die Tatsache, dass es heute in Deutschland und Europa wieder freilebende Wisentpopulationen gibt, ist einem intensiven Arterhaltungsprogramm Mitte des 20. Jahrhunderts zu verdanken. Dabei sollte die Art durch gezielte Züchtungen mit wenigen, sich in zoologischen Gärten oder privater Haltung befindlichen Tieren, vor dem Aussterben bewahrt werden. Die heute lebenden Flachlandwisente gehen auf nur sieben ursprüngliche Individuen zurück, vier Bullen und drei Kühe. Vom Bergwisent gab es zu der Zeit nur noch einen einzigen Bullen. Dieser wurde mit einer kleinen Gruppe von Flachlandwisentkühen gekreuzt und damit wurde die sogenannte Flachland-Kaukasus-Linie gegründet. Alle heute lebenden Wisente sind also die Nachkommen von zwölf  „Gründertieren“ und daher miteinander verwandt. Dieser Effekt wird auch als genetischer Flaschenhals bezeichnet und beschreibt, wie sich die genetische Vielfalt einer Population reduziert, wenn nur noch wenige Individuen übrig sind. Eine Folge dieser genetischen Verarmung kann Inzucht und die häufigere Vererbung von Krankheiten sein. Obduktionen an verstorbenen Wisentbullen zeigten beispielsweise, dass 10,6 Prozent der untersuchten Bullen die älter als ein Jahr waren an Kryptorchismus litten, bei dem sich die Hoden meist im Bauchraum oder der Leistengegend befinden. Darüber hinaus können sich Populationen mit einer geringen genetischen Diversität schlechter an verändernde Umweltbedingungen anpassen. Da der Großteil der Populationen auch heute räumlich voneinander getrennt ist, erhöht sich das Risko von Inzucht weiter. Um einen genetischen Austausch überhaupt gewährleisten zu können, werden daher immer wieder einzelne Tiere eingefangen und mit Individuen aus anderen Herden getauscht.

Wisent-Kuh mit Kalb © Vitaly Gorshkov / WWF-Russia
Wisent-Kuh mit Kalb © Vitaly Gorshkov / WWF-Russia

Obwohl Wisente in ganz Europa unter Schutz stehen, gibt es auch heute immer wieder Fälle von Wilderei, beispielsweise in Litauen oder Russland. Teilweise gehen diese Fälle auf mangelnde Kenntnisse über den Schutzstatus der Tiere zurück. Es kommt aber auch vor, dass Wisente aufgrund einer geringen sozialen Akzeptanz gejagt werden, da sie Schäden in Wäldern oder auf Äckern verursachen können.

Eine der Hauptbedrohungsfaktoren für das Überleben der Wisente ist jedoch die Zerschneidung ihres Lebensraums. Damit eine Population in Zukunft überlebensfähig bleibt, muss sie laut Wissenschaftler:innen mindestens 100 bis 500 Individuen umfassen. Herden von dieser Größenordnung benötigen allerdings besonders große Streifgebiete mit ausreichendem Nahrungsangebot, von denen es in Europa nur noch wenige gibt. Untersuchungen der Wisente im Białowieża-Urwald zeigen, dass Nahrungsknappheit sowie Trockenheit zu den größten Bedrohungsfaktoren dort gehören. Das liegt unter anderem daran, dass junge Bäume, die für die Forstwirtschaft vorgesehen sind, zum Schutz vor Wisenten eingezäunt werden. Dies kann das Nahrungsangebot weiter einschränken. Zudem bieten viele Habitate besonders während der kalten Jahreszeit nicht genügend Nahrung.

Um den Erhalt der Wisente dauerhaft zu sichern ist es daher nötig geeignete Lebensräume für sie zu schaffen und zu bewahren, sowie die isolierten Populationen miteinander zu vernetzen.

Obwohl die Weltnaturschutzorganisation IUCN den Gefährdungsstatus des Wisents herabgestuft hat, haben die Wissenschaftler:innen deutlich darauf hingewiesen, dass das Überleben des großen Pflanzenfressers auch weiterhin direkt von intensiven Schutz- und Managementmaßnahmen abhängig ist.

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